Geschichten /Stories

 Falsche Lichter- Verblendung

Der Wecker klingelt und reißt mich aus einem traumvollen Schlaf. Es ist noch dunkel. Verschlafen blinzele ich mir den Schlaf aus den Augen und versuche mich zurecht zu finden. Eine gewohnte Bewegung, ein kurzes Strecken und ich schaltet das Licht ein.

Ein neuer Tag beginnt.

Das Anziehen ist Routine, das Frühstück Gewohnheit. Während ich das Haus verlasse ist es noch dunkel, doch ich merke es nicht. Die hellen Scheinwerfer der Autos blenden mich. Eine ausgefallene Ampel blinkt und die Straßen sind in einem diffusen, orangenen Licht getaucht. Dunkelheit scheint nicht mehr zu existieren.
“Sie machen die Nacht heller als den Tag“, schießt es mir durch den Kopf, als ich an einem beleuchteten Schaufenster vorbei gehe.

Die Stadt erwacht.

Die Sonne tritt ihren Kampf an, doch es interessiert mich nicht. Ob sie scheint oder nicht, ist mir einerlei. Wofür gibt es Lichtschalter, Lampen und Blinklichter. Die Nacht scheint ihre Existenz verloren zu haben, warum sollte der Tag noch eine Berechtigung haben?

Mein Tagwerk geht mir wie immer von der Hand. Ein bisschen Lächeln, ein bisschen Freundlichkeit und schon ist die Schicht vorbei. Die Pflicht ist getan und macht Platz für das Vergnügen.

Ich treffe mich mit meinen Freunden. Wir lachen, wir singen und quatschen. Das Licht scheint hell in der Wohnung und wir stehen vor dem hellerleuchteten Spiegel. Wir schminken uns, ziehen uns an. Noch mehr Farben und noch mehr Leuchten, noch mehr Lärm.
Zusammen gehen wir hinaus in die Stadt.
Wir sind jung, sagen wir.
Wir wollen etwas erleben, sagen wir.
Und so gehen wir hinaus. Nicht in die Welt, sondern in die Stadt. Das Leben scheint hier zu pulsieren. Die Straßen schieben rote und weiße Lichtpunkte durch den Ort. Die Lampen verstreuen ihr diffuses Licht, die Schaufenster laden blinkend ein. Die Werbetafeln locken mit noch mehr Farben und noch mehr Licht. Ja es fühlt sich gut an, es fühlt sich richtig an.
Zusammen mischen wir uns unter unseres Gleichen. Immer auf der Suche, immer mit dem Verlangen nach mehr Licht. Dunkelheit ist verpönt, Dunkelheit macht nicht glücklich, also suchen wir nach dem nächstbesten Lichtschalter.

Wir betreten ein Theater. Das Licht geht aus und es wird still. Doch nicht lange. Vorne erwacht ein neuer, falscher Tag auf der Bühne. Kunstlicht. So hell und heiß, dass ich die Hitze sogar hier, ganz hinten, noch spüren kann. Es gefällt mir und entführt mich. Wieder Stunden in denen ich beschäftigt bin, in denen ich weg von der Dunkelheit bin.
Begeisterung durchflutet meinen Körper, bringt ihn beinah zum Zittern. Wir lachen und quietschen wie wilde Hühner. Als hätten wir den Sinn des Lebens gefunden. Während wir so rekapitulieren und uns von der Masse mitschleifen lassen, stoße ich jemanden an.
Ein älterer Herr in schäbigen Klamotten. Er hält einen Besen und fegt den Bürgersteig.
“Verzeihung“, sage ich und denke es wäre damit getan. Der Mann lächelt mich an und winkt ab.
“Schon gut. Ich sehe ihr habt euren Spaß. Geht es dir gut?“
Ich kneife einen Moment meine Augen zusammen. Bin überrascht über das Interesse, doch das Adrenalin lässt mich schlussendlich ausgelassen antworten.
“Ja, sicher geht es mir gut. Es geht mir sogar hervorragend“. Lachend ziehend wir weiter. Doch obwohl wir den Mann verlassen, bleibt etwas bei mir. Seine Frage. „Geht es dir gut?“ Für einen winzigen Augenblick, nicht länger als ein Wimpernschlag, frage ich mich, ob es mir wirklich so gut geht, wie ich ihm geantwortet habe. Lange kann ich mich nicht darauf konzentrieren, denn jemand zeigt auf ein Plakat.
“Da schau! Heute in der Disko eine Lasershow“
Wortlos herrscht Einigung. Wir schlagen den Weg zur Diskothek ein. Schon vor der Tür werden wir vom Dröhnen des Basses gestreichelt. Unser Herzschlag erfasst diesen Rhythmus und pumpt unser Blut durch den Körper. Wir werden immer begehrlicher uns in dieses Getümmel zu werfen und nach einer kurzem Wartezeit, ist es uns erlaubt. Wir strömen auf die Tanzfläche. Der Beat massiert unsere Körper und wir lassen uns fallen. Plötzlich nimmt die Dunkelheit zu, einen Moment herrscht Unwohlsein. Nebel steigt auf und das Gefühl der Unsicherheit, verdrängt das Unwohlsein. Für einen Moment, scheint die Erde still zu stehen und dann geschieht es. Licht und Farben explodieren. Es ist wie ein Rausch. Unsere Körper zucken zur Musik. Unsere Augen sind geblendet und doch sind wir von ehrfürchtigen Erstaunen erfasst.
Ja, Dunkelheit scheint nicht mehr zu existieren. Losgelöst und außer Atem gehe ich an die Bar. Ich bestelle etwas zu trinken. Die Bardame lächelt mich an und fragt.
„Eine Menge los heute Nacht. Geht es dir gut?“
Strahlend und kaum meine eigenen Worte verstehend, grinse ich breit.
“Oh ja und wie es mir gut geht: Es gibt nichts cooleres auf der Welt, als das hier“, erkläre ich im Rausch des Lichtes. Darüber nachdenken schaffe ich nicht. Muss ich auch nicht, denn die Bardame hält das Gespräch aufrecht.
“Oh doch, aber das findest du nicht hier. Da musst du raus aus der Stadt.“
Verdutzt blicke ich sie an und hake nach.
“Raus?
„Ja raus“, lacht sie „da draußen gibt es das Ultimative Licht. Das hier“, sie macht eine demonstrative Bewegung in Richtung der Scheinwerfer, „ist nur ein billiger Abklatsch“
Meine Neugier ist geweckt, aber nicht nur diese. Meine Fantasie springt an. In tausend Farben stelle ich mir dieses Licht vor und beschließe, dass ich es sehen muss. Schnell laufe ich zurück zu meinen Freunden. Erzähle ihnen davon und auch sie sind begeistert. Gemeinsam verlassen wir die Diskothek und treten hinaus in die Dunkelheit, die man nicht erkennt.
Noch lachen wir, noch sind wir frohen Mutes, doch je weiter wir laufen, um so mehr nehmen die Lichter ab. An einer Kreuzung kommt die Frage auf, ob es sich lohnt, ob es stimmt, denn anstatt mehr Lichter, bekommen wir immer weniger zu sehen. Der Augenblick kommt indem wir uns entscheiden müssen.
Ich will dieses Licht sehen und gehe alleine weiter. Auf dem Weg kommen mir Wegweiser entgegen. „Du verlässt dich Stadt, kehre um“ steht auf jedem, doch ich kann nicht, ich will nicht.

Mit jedem Schritt, stirbt ein Blinken mehr. Mit jedem Schritt, wird es dunkler. Ich schaue mich um und kann den Weg kaum noch erkennen. Ein kurzer Blick nach oben, bestätigt mir was ich bereits ahne. Mond und Sterne sind hinter einer Wolkenschicht verborgen. Ich bin die Dunkelheit nicht mehr gewohnt und sehne mich danach umzukehren. Doch ich laufe weiter.
Mit dem Licht nimmt auch der Lärm ab. Ich kann die Geräusche der Stadt nicht mehr ausmachen. Für einen Augenblick kann ich mir nicht einmal vorstellen, dass es so etwas wie die Stadt und ihre Lichter überhaupt gab.

Plötzlich höre ich was. Ich wende mich um, doch niemand ist da. Einmal drehe ich mich, um meine eigene Achse, aber ich bin allein. Wieder höre ich etwas und bin überrascht, ja sogar verängstigt. Ich brauche einige Minuten, bis ich verstehe. Brauche einige Minuten bevor ich erkenne und zwar mich selbst.
Ohne Lärm und Licht kann ich meine eigene Stimme in meinem Kopf hören. Kann hören, was ich, wirklich ich, zu sagen habe. Es ist ungewohnt. Sonst übertöne ich sie mit allem was die Stadt zu bieten hat, doch jetzt kann ich sie deutlich wahrnehmen. Traurigkeit überkommt mich. Ich fühle mich verlassen und leer. Gefühle, die ich verabscheue, doch hier auf der kaum wahrnehmbaren Straße und der Dunkelheit, kommen sie noch intensiver an die Oberfläche. Stumme Tränen rinnen aus meinen Augen und verenden salzig an meinem Kinn.
Alles scheint so belanglos.....so sinnlos.

Ich gehe weiter, glaube kaum noch daran, dass ich hier etwas finde. Glaube kaum noch daran, dass es eine gute Idee war, die Stadt hinter mir zu lassen, als ich einen kleinen Jungen entdecke. Er sitz vor einem Haus und hält seinen Finger an seine Lippen.
“Psst, verrate mich bitte nicht. Ich sitze gerne hier und beobachte die Leute“
Verwirrung ermächtigt sich meiner. Will etwas sagen, doch der Junge kommt mir zuvor.
“Wie geht es dir?“
„Mir?“ Frage ich nochmals nach und antworte ihm dann
„Mir geht es eigentlich...ähm....ich weiß es nicht. Ich glaube, mir geht es nicht gut“, gestehe ich ihm und somit auch mir.
„Warum?“, will er forsch wissen. Ich schweige für die Länge einiger Herzschläge und antworte ihm dann zaghaft.
„Ich weiß nicht. Ich fühl mich einsam und so unendlich leer. Ich komme aus der Stadt und ihren bunten Lichtern, ihren Lärm und hier ist alles so fremd und dunkel.“
Der Junge blickt mich mit großen Augen an. Ein leichtes Lächeln zeichnet sich auf seinen Gehsichtzügen ab, als er seinen Finger hebt und hinter mich zeigt.
„Da, du hast doch ein Licht bei dir“
Ich wende mich zu seinem Fingerzeig und nun muss auch ich grinsen. Ein kleines Glühwürmchen tanzt hinter mir. Die Logik des Jungen gefällt mir und hebt meine Stimmung. Ich streichele über seinen Kopf und ziehe weiter meines Weges. Irgendwie gefällt mir dieses kleine, tanzende, Lichtpunkt und so fange ich an, damit zu reden. Ich bin einsam und halte es für eine gute Idee, um meine Einsamkeit zu vertreiben. Zusammen legen wir noch einen weiten Weg zurück. Dass es mittlerweile aufwärts geht, bekomme ich kaum mit, während ich dem kleinen, einzigen Licht auf meiner Reise, mein Herz ausschütte. Es ist angenehm, denn es leuchtet nicht grell und blendet mich nicht. Es verwirrt mich auch nicht, sondern folgt mir treu. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, hab es sogar lieb gewonnen, als es plötzlich erlischt.

Wieder überkommt mich eine Traurigkeit, doch diese Traurigkeit ist nicht von langer Dauer. Nun da ich mich nicht mehr auf das Reden und das Glühwürmchen konzentriere, nehme ich wahr, wo ich bin. Ich stehe auf einem Berg und vor mir eine weite Landschaft. Wie gemeißelt und aus eines Künstlers Hand, ragen Hügel am Horizont herauf. Große schwarze Schatten.
Ich setze mich auf den Boden, blicke vor mich hin und da passiert es.
Mein Mund öffnet sich in freudigem Erstaunen. Hinter den Schatten beginnt es zu glimmen. Blau, Lila, Rot, Orange und dann strahlend weiß. Meine Augen weiten sich in Staunen. Ich bin unfähig etwas zu sagen. Eine Träne quellt aus meinem Auge. Kein Bote der Traurigkeit, sondern der Freude. Ich sitze einfach da, der Wind weht mir sanft durch das Haar und ich genieße den Augenblick. Den Moment des vollkommenen Lichts. Eines Lichts, dass ich so lange keinerlei Beachtung geschenkt habe, obwohl es immer da war. Ohne mich zur Seite zu wenden, weiß ich, dass jemand dort sitzt. Eine vertraute Stimme fragt mich.
“Wie geht es dir?“
Meine Mundwinkel verziehen sich zu einem ehrlichen Lächeln, als ich mit eben dieser Ehrlichkeit antworte.

“Mir geht es gut. Ja, mir geht es wirklich gut“

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